Beitrag Mona Haug und Dr. Joachim Hutfless
Wie nützlich kann Coaching sein, wenn es darum geht, ein neues Team zu bilden, das die Einführung eines neuen Produkts vorbereiten soll? Welche Effekte hat Coaching in einer solchen Phase auf das Team und die einzelnen Mitglieder? Coach Mona Haug und der Leiter der Technischen Kundenberatung bei Trumpf, Dr. Joachim Hutfless, schildern den Prozess und seine Wirkung.
Die Ausgangssituation
Bei TRUMPF, einem mittelständischen Maschinenbauunternehmen mit 8.000 Mitarbeitern im schwäbischen Ditzingen, sollte in kurzer Zeit ein neuer Lasertyp in eine Maschine zum Schneiden ebener Bleche eingeführt werden. Alles war so noch nie da gewesen: Laser, Maschine und Technologie – sogar die Positionierung der Maschine in der Anwendung war neu, da sie es in dieser Kombination ermöglichte, zusätzliche Materialien (nicht nur Stahlblech, sondern auch Buntmetalle) mit deutlich höherer Geschwindigkeit zu schneiden. Diese Produktneuentwicklung war ein wichtiger Innovationsschritt für TRUMPF in einem Feld, in dem man Marktführer ist. Jede Produktneuentwicklung und deren Markteinführung stehen unter hohem Erfolgsdruck. Viele unterschiedliche Unternehmensbereiche müssen interdisziplinär kooperieren. Der Return on Investment (ROI) muss in der geplanten Zeit zuverlässig erreichbar sein. Das Besondere bei diesem Projekt war ein sehr hoher Wettbewerbsdruck und eine sehr kurze Zeit vom Entwicklungsbeginn bis zur ersten Produktvorstellung bei einer Hausmesse.
Interdisziplinäres Team notwendig
Angesichts dieser Herausforderung war klar, dass die Produkterstvorstellung von einem agilen, schnellen und entscheidungsfreudigen Team mit Mitgliedern aus unterschiedlichen Bereichen vorbereitet werden muss. Das „Premierenteam“ wurde deshalb aus dem Entwicklungsleiter, einem Experten der Technischen Kundenberatung, dem Vertriebsproduktmanager und dem Marketingverantwortlichen zusammengestellt. Hinzu kam der Leiter der Technischen Kundenberatung, in dessen Bereich die Hausmesse stattfand. Er übernahm die Rolle des Teamleiters mit koordinierenden Funktionen für die Organisation des Teams. Dabei war es wesentlich, dass dieses Team keine Parallelstruktur zu den bestehenden großen Unternehmensstrukturen bildete, etwa zur Produktentwicklung oder zum internationalen Vertrieb, sondern über die Teammitglieder entscheidende Schnittstellen in diese Zentralbereiche darstellte. Wichtige Informationen konnten also so direkt in die Zentralbereiche gelangen und umgekehrt von dort abgeholt werden. Einzige und wichtigste Aufgabe des „Premierenteams“ war es, die Produkterstvorstellung vorzubereiten, alle dazu nötigen Informationen bereitzustellen und alle erforderlichen Entscheidungen zügig zu treffen und umzusetzen.
Das „Premierenteam“ war mit fünf Mitgliedern klein genug für bewegliches und zügiges Handeln. Durch sich gegenseitig ergänzende Kompetenzen war es entscheidungsfähig für das Gesamtprojekt und entscheidungsbefugt für den jeweiligen Fachbereich. Mit Ausnahme des Teamleiters, der als Koordinator eine Sonderrolle hatte, gab es keine inneren Hierarchien. Für die notwendige Geschwindigkeit und Effizienz fehlten noch entscheidende Kompetenzen, die durch die Intervention eines Coachs während der Teamarbeit entwickelt wurden.
Die Ziele des Coachings
Der angesprochene Coach war schon seit zwei Jahren als Trainerin im Bereich Sprachbildung, Kommunikation, Teambildung und Co-Moderatorin bei nationalen und internationalen Projekten tätig und konnte auf ein solides Vertrauensverhältnis mit Mitarbeitern und Führungskräften gleichermaßen zurückgreifen. Sie verband die Aufgabe bei Trumpf mit ihrer Masterstudie, die sie als Abschluss einer zweijährigen Ausbildung in „Coaching und Mentoring“ an der Oxford Brookes Universität erstellen wollte. Dafür standen sechs Monate Zeit zur Verfügung. Der Coach wählte bewusst die Form einer Feldforschungsstudie, weil hier der Schwerpunkt auf interaktiver und gleichberechtigter Zusammenarbeit von Experten liegt.
Der Teamleiter erwartete von der Zusammenarbeit mit einem externen Coach eine Prozessberatung des Projektteams durch kontinuierliche Reflexion der Ergebnisse. Außerdem versprach man sich Unterstützung bei Strategie- und Lösungsprozessen nach systemischer Evaluation und Analyse der Gesamt- und Einzelsituation durch den Coach. Sie sollteals Sparringpartner fungieren, der vertraute Denkweisen und Gewohnheiten infrage stellt und dadurch Perspektivenwechsel ermöglicht.
Geschäftsführung, Personalentwicklung und Organisationsentwicklung wollten darüber hinaus anschließend ein allgemeingültiges, übertragbares Teamkonzept. Ein Ergebnis, das mehr als nur ein Empfehlungsschreiben sein sollte, mit Vorschlägen zur Verbesserung und für konkrete, prägnante und nachhaltige Maßnahmen zur Effektivitätssteigerung. Bei den Mitarbeitern wurde schnell offensichtlich, dass das Coaching als Erfolg betrachtet werden würde, wenn am Ende ein zentraler und integrativer Informationsaustausch entstanden wäre, der die Zusammenarbeit der einzelnen Abteilungen wesentlich fördert. Zudem wurde das Bedürfnis nach gesteigerter kompetenter und vertrauensvoller Zusammenarbeit im Team geäußert.
COACHING FÜR EFFIZIENZ UND SCHNELLIGKEIT
Um die beschriebene Aufgabe zu bewältigen, war also eine sehr gut funktionierende Kommunikation ein entscheidender Schlüssel zum Erfolg. Wie also musste diese Kommunikation beschaffen sein in der Produktneuentwicklung? Sie sollte richtig, präzise, sachlich, einfach, verständlich, rechtzeitig, korrekt, konstruktiv, freundlich, empathisch und wahrscheinlich vieles mehr sein und damit sowohl „harte technische Attribute“ als auch „weiche interaktive Eigenschaften“ haben. Es ging nun also darum, dass eine Expertengruppe, die das gemeinsame harte technische Ziel vor Augen hat, mithilfe des Coachs auch die weichen Kompetenzen souverän ausspielt. Denn die Beherrschung der „weichen“ Faktoren in der Kommunikation beschleunigt den Ergebnisfortschritt enorm, im geschilderten Fall also den Zeitraum, der für eine Erstpräsentation einer Produktinnovation gebraucht wird. Das hängt eng damit zusammen, dass der Ergebnisfortschritt auf der Basis einer vollständigen Informationsbasis und schnell getroffenen, guten Entscheidungen beruht. Die nötigen Informationen sind dann den Entscheidungsträgern bekannt.
Zusammenspiel von Team- und Einzel-Coaching
Der Coach nahm gleich zu Beginn an der Arbeit des „Premierenteams“ teil. Jedes Team durchläuft vom ersten Kick-off-Meeting bis zum reifen Stadium eines Hochleistungsteams eine dynamische, spannende Entwicklung. Also waren die Aufgaben des Coachs vielfältig: Sie sollte das Team durch diese Entwicklung leiten, ihm klar machen, welche Phase gerade durchlaufen wird und beispielsweise erklären, warum manche Dissonanzen als normal und nötig zu betrachten sind.
Nach drei Wochen, in denen sich der Coach darauf beschränkte, zu beobachten und diese Beobachtungen schriftlich festzuhalten, wurde klar, dass das Team-Coaching allein nicht ausreichend sein würde, um positive Veränderung herbeizuführen. Deswegen wurde Einzel- oaching für Interessierte aus dem Team eingeführt. Jeweils einmal pro Woche, zusätzlich zu den Teammeetings traf der Coach sich mit verschiedenen Teammitgliedern. Individuell wurde an unterschiedliche Themen herangegangen, wie zum Beispiel Verbesserung der Kommunikation innerhalb des Teams, Steigerung der Führungskompetenz, Work-Life-Balance, Auftreten von bestimmten negativen Verhaltensmustern und deren Veränderung durch den ganzheitlichen Ansatz der Transaktionsanalyse. Es wurde deutlich, dass jedes der Teammitglieder verschiedene Schwerpunkte hatte, obwohl sie als Team ein übergeordnetes Ziel verfolgten. Am Anfang des Einzel-Coachings war gemeinsam festgelegt worden, dass die Zusammenarbeit die Steigerung der Teameffektivität zum Ziel haben sollte. Das bedeutete, dass die einzelnen Bedürfnisse der Mitglieder in Einklang mit dem Teamziel gebracht werden sollten.
Es war rückblickend nicht verwunderlich, dass dieses gemeinsame Ziel von den anfänglichen Einzelzielen der Teilnehmer abwich, obwohl alle ganz zu Beginn der Meinung waren, das gleiche Ziel vor Augen zu haben. Der Moment, als sich alle Teammitglieder dem gemeinsamen Ziel gegenüber verpflichteten – mit gleichem Verständnis und „mit ganzem Herzen“ – wirkte wie ein Startschuss für eine neue Eigendynamik im Team. Die Bereichsgrenzen wurden transparent. Obwohl der jeweilige Bereichsexperte die anerkannte fachliche Führungsrolle in seinem Bereich hatte, berieten ihn die anderen und übernahmen als Team auch die Mitverantwortung für Entscheidungen, die aus anderen Bereichen fachlich begründet wurden. Natürlich lief das nicht reibungsfrei. Gründe dafür liegen in „individuellen Befindlichkeiten“ der Teammitglieder, vor allem im fehlenden Rollenverständnis der Einzelnen. Ist also das gemeinsame Ziel definiert, so entwickelt sich das Team nur dann reibungslos, trifft gute Entscheidungen und erreicht schnelle, qualitativ hochwertige Ergebnisse, wenn die „individuellen Befindlichkeiten“ besprochen und verarbeitet werden. Das konnte das hier angewandte Coaching-Modell leisten, das sowohl das Team durch Coaching unterstützt, als auch dem einzelnen Teammitglied „Sparring“ anbietet.
Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, besteht die Hauptaufgabe des Coachs im Wesentlichen darin, die einzelnen Teammitglieder in ihren individuellen Rollen zu stärken. Dies kann einerseits bedeuten, jedem selbst und den anderen die individuelle Rolle bewusster zu machen oder andererseits die Probleme des einzelnen Teammitglieds zu lösen. Nur wer die Umstände versteht, unter denen der andere handelt, kann eine konstruktive Diskussion führen und eine zügige Beschlussfassung unterstützen. Im Grunde durchlaufen Teammeetings regelmäßig „Verhandlungssituationen“, wobei die Teammitglieder mit ihren unterschiedlichen Interessenhintergründen eine „Win-Win-Situation“ mit gemeinsamem Ziel anstreben. Deshalb muss der Coach die Teammeetings möglichst kontinuierlich verfolgen und gegebenenfalls moderierend eingreifen. Nach den Erfahrungen der Autoren hatte die Kombination von beidem, Team- und Einzel- Coaching, die Gesamteffizienz der Teamarbeit entscheidend gefördert.
Ein Beispiel: Ein Teammitglied war anfangs häufig verärgert aus den Teamsitzungen herausgegangen. Im Einzel-Coaching wurde mithilfe von Kommunikationsmodellen, beispielsweise den „vier Ebenen einer Botschaft“ und dem „inneren Team“ (Schulz von Thun), Aussagen einzelner Teammitglieder zerlegt und dementsprechend zugeordnet. So lernte das Teammitglied mit der Zeit, Aussagen für sich wertungsfrei aufzunehmen und durch Zusammenfassen das widerzuspiegeln, was bei ihm angekommen war. Dadurch konnten Missverständnisse sofort geklärt und Unstimmigkeiten vermieden werden. Für dieses Teammitglied war es wichtig, zu erleben, dass Spannungen durchaus auftreten dürfen. Es lernte durch das Üben im Einzel-Coaching die Meinungen seiner Kollegen stehen zu lassen, jedoch gleichwohl seinen eigenen Standpunkt mit durchdachten Argumenten zu vertreten, ohne sich angegriffen zu fühlen. Zudem lernte der Mitarbeiter, wie er konkret durch rechtzeitiges Feedback dazu beitragen konnte, seinen Kollegen zu vermitteln, dass er ihre Bedürfnisse und die der anderen Abteilungen ernst nimmt. Die Lautstärke der Teammitglieder verringerte sich in dem Maße, wie Wertschätzung und Akzeptanz der Kompetenzen untereinander zunahm.
Spürbarer Nutzen für die Teamarbeit
Jedem Teammitglied wurden im Laufe der Zeit die positiven Wirkungen der Coaching- Interventionen deutlich. Die Akzeptanz der Vorgehensweise nahm kontinuierlich zu, das Ergebnis war am Ende des Projekts für jedermann sichtbar:
- Stressabbau (aufgrund von wachsendem Verständnis für die Gesamtsituation und verbesserter Kommunikation)
- Perspektivenwechsel (Teammitglieder konnten die verschiedenen Standpunkte nachvollziehen und berücksichtigen)
- Erhöhte Selbstreflexion (Dadurch konnten vertraute negative Muster erkannt und verändert werden)
- Feedbackregeln gelernt und erfolgreich angewandt(dadurch erhöhte Kritikfähigkeit)
- Verbesserte Führungskompetenz (Es fand eine stete Übertragung von gelernten Kernkompetenzen an andere Mitarbeiter außerhalb des Teams statt)
- Eindeutige Zielvorstellungen und systemische Umsetzung erreicht
- Erhöhte Wahrnehmung der Bedürfnisse anderer und Kompetenzanerkennung
- Teameffektivität wurde durch Einzel- Coaching verstärkt und Zielerreichung beschleunigt
- Das Team konnte jedes seiner Ziele zu 100 Prozent erreichen
- Das Best-Practice-Modell, beziehungsweise die Ergebnisse, können in bestehende sowie zukünftige Produktentwicklungen integriert werden
- Ergebnisse und Rückmeldungen der Teammitglieder demonstrieren klaren Nutzen des Personalentwicklungsinstruments Coaching
- Gesteigerte Wertschöpfung für das Unternehmen